Ein Glücksfall für Gernsheim:

Georg Schäfer
"Herr Bürgermeister, Sie haben sich um Gernsheim verdient gemacht!" So bilanzierte der damalige CDU-Fraktionsvorsitzende Anton Dreiseitel 1981 in der letzten Stadtverordnetensitzung mit Georg Schäfer dessen 30-jährige Amtszeit. Begonnen hatte die Kombination des Schicksals einer Stadt mit dem Leben eines Menschen so: "Am 8. Januar 1951 ist die Gemeindevertretung bei starker Beteiligung der Bevölkerung im großen Saal des Herrn Valentin Esselbach zusammengetreten, um die Bürgermeisterwahl vorzunehmen. Unter fünf Bewerbern wurde Georg Valentin Schäfer mit elf Stimmen zum Bürgermeister der Stadt Gernsheim auf sechs Jahre gewählt." Mit diesen Worten beschreibt Schäfer seine Wahl als Nachfolger von Peter Adler selbst im Beitrag "Gernsheim im Aufbau nach 1945" im Heimatbuch 1956. Am 1. Februar 1951 trat der damals Siebenundreißigjährige seinen Dienst für die Stadt Gernsheim an. Am 31. Januar 1981 verabschiedete sich der imposante Mann von dieser Funktion.
Das berufliche Leben des Georg Schäfer begann nach der Primarreife am 1. April 1931 als Volontär und Kanzleigehilfe beim Amtsgericht der Rheinstadt. Während der von den Nationalsozialisten betriebenen Säuberung des Berufsbeamtentums wurde er 1937 von einem zum anderen Tage entlassen. Nach dem Arbeitsdienst folgten verschiedene Anstellungen. Der zweijährige aktive Wehrdienst endete 1938; im Juli 1939 heiratete er Johanna Dölle, mit der er fünf Kinder hat. Den sechsjährigen Kriegsdienst beendete Schäfer als Leutnant der Fronttruppe in englischer Gefangenschaft. Dort lernte er Dr. Dehmer kennen, den er später als Leiter des Gymnasiums für Gernsheim gewann. Seit 1947 war er bei der Vertriebsgesellschaft der Röhm und Haas GmbH tätig.
Nach dem Krieg, so Georg Schäfer, "wollte ich neben meiner Familie auch etwas für die Mitmenschen tun". Denn es galt Elend und Not zu überwinden. So schloss er sich der unabhängigen Wählergruppe an, für die er am 25. April 1948 in die Stadtverordnetenversammlung gewählt wurde. Selbst als er im ersten Anlauf 1948 bei der Bürgermeisterwahl durchfiel, hemmte dies seinen Tatendrang nicht.
Die Haushaltsentwicklung der Stadt zeigt auf, wie zielstrebig dieser selbstbewusste Mann in den 30 Jahren seiner Tätigkeit am Auf- und Ausbau seiner Heimatstadt gearbeitet hat. Waren es zu Beginn nicht einmal eine volle Million, umfasste das Budget am Ende seiner Amtszeit 15 Millionen Mark. Doch dies allein ist noch kein Maßstab, denn, so Schäfer selbst: "Ich halte nicht viel von der Forderung nach Wachstum um jeden Preis!" Gradmesser für die Wirkung ist das Erreichte: In Schäfers Amtszeit fallen der Ausbau des Gymnasiums zur Vollanstalt, die Einrichtung einer Real- und Sonderschule sowie die Aufgeschlossenheit bei der Bereitstellung des Geländes für die Johannes-Gutenberg-Schule. Stolz war der Verwaltungschef auch auf den vollständigen Ausbau der Kanalisation als Vorstufe für den Straßenbau. Schäfer hat nie - wie viele andere seiner Bürgermeisterkollegen - für den Kreistag kandidiert. Er wollte seine ganze Zeit der Heimatstadt widmen, ging "mit ihr schwanger", wie er selbst sagte, wollte aus ihr eine “Stadt mit Herz” formen. "Das ist ihm gelungen. Gernsheim ist die Kleinstadt, in der man gerne wohnen möchte, geblieben", bilanzierte Karl Forster im Darmstädter Echo.
Ein besonderes Anliegen war dem Stadtoberhaupt die Sanierung der Altstadt. So gelungene Plätze wie Fischerbrunnen, Schöfferplatz und Rosengarten beweisen das. Krönung dieses Werkes war die Neugestaltung des Stadtplatzes mit dem Eulenbrunnen, der heute den Namen Georg Schäfers trägt. Zu erwähnen sind zudem der Bau des Wasserwerkes und der Sportanlagen am Rhein. Das Hallenbad war über die Grenzen Gernsheims hinaus beliebt. Die Beseitigung der Bahnübergänge in der Stadt und der Bau der Stützpunktfeuerwache gehören ebenso zu seinen Plänen wie die Integration der Stadtteile Allmendfeld und Klein-Rohrheim. Weitere Stichworte sind Alten- und Pflegeheim Marienheim, Kläranlage, Industrieansiedlung, die Vermeidung von Wohnungshalden und anderes mehr.
Es war freilich nicht das Werk dieses Mannes allein, alle haben angepackt. Aber Schäfer hatte die Fäden in der Hand, hat mit Augenmaß und Sinn für eine harmonische Entwicklung ein organisches Wachstum erreicht. Insofern hat es seine Berechtigung, wenn Stadtverordnetenvorsteher Wilhelm Fritsch 1976 beim 25-jährigen Jubiläum des Bürgermeisters von einem einmaligen Glücksfall für Gernsheim sprach. “Der Erfolg ist nicht einfach zugefallen, sondern durch hohen persönlichen Einsatz und unermüdliche Tatkraft erarbeitet worden.”
Auf sein Verhältnis zu den Parteien befragt, meinte der Bürgermeister, CDU-Mitglied, dass sie nichts Vollkommenes darstellen. Er fühlte sich nicht besonders wohl, als er für vier Jahre den CDU-Vorsitz übernahm. Es war ein Schuh, der ihm zwar passte, den er aber auch gerne wieder auszog. Besonders bedauerte er 1981 die Polarisierung in den letzten Jahren seiner Amtszeit. Und er wiederholte ein Wort, das er schon 1974 bei seiner Wiederwahl an die Adresse der SPD gerichtet sagte: "Die Parteipolitik spielt für Sie eine größere Rolle als für mich. Zuerst kam immer die Stadt, dann die Partei." Das bestätigen die CDU-Vorsitzenden seiner Amtszeit gerne, wenngleich sie sich vielleicht doch mehr Engagement des Mannes mit Ecken und Kanten in der Partei gewünscht hätten.
Aber dass Schäfer der Bürgermeister aller Gernsheimer sein wollte, sich nicht parteipolitisch "vernagelte", ist ein Aspekt zur Beantwortung der Frage, warum er so beliebt war. Der “Schorsch”, wie er liebevoll-anerkennend genannt wurde, arbeitete nach dem “Prinzip Erfahrung”, das sich in Lebensprüfung, Lebensentschluss und Lebensverwirklichung abgespielt hat. Daran prallen ideologische und utopische Zielbestimmungen ab. Der Bürgermeister in seiner Abschiedsrede: “Die Persönlichkeit entfaltet sich nicht im Kampf gegeneinander, sondern im Einsatz für ein gemeinsames Ziel.”
Schäfer, von dem der frühere Vizepräsident des Deutschen Bundestages, Dr. Hermann Schmitt-Vockenhausen, gesagt hatte: "Wir sind Freunde, auch wenn er einen anderen Stil schwimmt als ich", machte sich immer wieder Gedanken über die tägliche Verwaltungsarbeit hinaus. Die kommunale Selbstverwaltung lag ihm sehr am Herzen. Sie sah er in immer stärkerem Maße beeinträchtigt. “Die Planungshoheit der Gemeinden wird durch die finanzielle Abhängigkeit von anderen Gebietskörperschaften beeinträchtigt.” Wer sollte zu solchen Wertungen mehr in der Lage gewesen sein als Schäfer, der 30 Jahre lang zu verantworten hatte, was - zuletzt - 31 Stadtverordnete beschlossen.
Was der praktizierende Katholik Georg Schäfer nach 30-jähriger Amtszeit hinterließ, war sein Städtchen Gernsheim, in dem man sich wohlfühlen konnte. Ruhigen Gewissens konnte er 1981 das Stadthaus verlassen. “Er hat 30 Jahre fleissig gearbeitet und ein gutes Erbe hinterlassen”, kommentierte das Darmstädter Echo. Und: “Gernsheim wird nicht trauern. Aber es wird den ‚Schorsch‘ nicht vergessen.” Die Gernsheimer bedankten sich 1985 mit der Ehrenbürgerwürde. Schon zuvor war er mit dem Ehrenbrief des Landes Hessen, dem Bundesverdienstkreuz, der Freiherr-vom-Stein-Plakette und der Ehrenplakette der Stadt Bar-sur-Aube in Silber ausgezeichnet worden. Georg Schäfer, dessen Leben die Sorge um die Menschen seiner Heimatstadt war und der Jahrzehnte ihrer Geschichte geschrieben hat, starb am 30. August 1986. Der Platz an der Stadthalle, im Herzen der Stadt, trägt seinen Namen.