In einem Wartebereich mit Stuck verzierter Wand steht eine Reihe mit Klappstühlen. In der Mitte der Reihe steht ein großer, bequemer mit rotem Samt bezogener Sessel.

Ehrenbürger der Schöfferstadt Gernsheim

Ehrenbürger der Schöfferstadt Gernsheim

Die Schöfferstadt kann Personen, die sich in herausragender Weise um das Wohl der Bürgerinnen und Bürger oder des Ansehens der Stadt verdient gemacht haben, das Ehrenbürgerrecht als höchste zu vergebende Auszeichnung verleihen.

Nachstehend stellen wir Ihnen die Ehrenbürgerin und Ehrenbürger der Schöfferstadt Gernsheim in alphabetischer Reihenfolge vor:

Jean-Pierre Davot

Bestechend durch Souveränität:

Jean-Pierre Davot steht an einem Mikrofon. Im Hintergrund ist verschwommen das Gernsheimer Wappen zu sehen.
Jean-Pierre Davot

Zunächst kannten die Gernsheimer nur seinen Namen und seine Funktion: Jean-Pierre Davot, Bürgermeister in Bar-sur-Aube. Doch nach und nach erfuhren sie mehr über den am 19. Juni 1929 in Sainte Savine (Aube) geborenen “ersten Baralbin”. Seine Wurzeln liegen im Elsaß, aus dem der Großvater 1870 nach Frankreich expatriiert wurde. Die Karriere als Politiker begann 1965, als Davot in den Stadtrat von Bar gewählt und Beigeordneter für das Schulwesen wurde. Er hatte auf der Liste des damaligen Bürgermeisters Claude Pertat kandidiert.

Bereits 1968 avancierte der Schuhhändler aus der Rue National - dessen eigentlicher Berufswunsch Ingenieur gewesen war - zum Vorsitzenden des kommunalen Entscheidungsgremiums. Die von ihm geführte freie bürgerliche Liste errang bei der Kommunalwahl 1971 eine große Mehrheit; Davot wurde Bürgermeister. Für dieses wie für alle weiteren Ämter im Laufe seines Lebens empfahl er sich nicht selbst: Er wurde immer gebeten, sich zur Verfügung zu stellen. Wahrnehmen konnte er seine Aufgaben, weil er an den Menschen glaubt. Seine Sorge war stets, in seinem Dienen alles gut zu machen. Dennoch hielt er es mit einem Mozart-Spruch: "Liebt mich, und ich werde gut spielen."

Wie er zu spielen verstand, zeigt Bar-sur-Aube: Auf seine Initiative gehen beispielsweise die Cité Scolaire und das Maison pour Tous ebenso zurück wie die Erneuerung des Krankenhauses und die Angliederung eines Altenheimes mit medizinischer Abteilung. Davot forcierte den sozialen Wohnungsbau und legte großes Augenmerk auf die Auflösung sozialer Brennpunkte. Unter seiner Ägide entstand auch die Stadthalle.

Bald wurde Jean-Pierre Davot auch auf Regionen- und Départementsebene zu einer respektierten Persönlichkeit. Seit 1976 Mitglied des Conseil Général im Département Aube, setzte er als Vorsitzender des Sozialausschusses viele Impulse: Schaffung eines Zentrums für Kinder aus sozial schwachen Familien, Entwicklung eines Konzeptes für Gerontologie, Mitwirkung am Behindertenplan.

Der Dienst am Nächsten, der Einsatz für alle, die benachteiligt sind, erwuchs bei dem Mann mit durch Überzeugungen angespornter Tatkraft aus der im protestantischen Milieu seines Elternhauses geprägten Lebensauffassung. Als Kind Mitglied in der Mouvement des Eclaireurs (Pfadfinder) wurde Jean-Pierre früh mit Leid konfrontiert: Tote des Krieges bergen. Als Jugendlicher arbeitete er ehrenamtlich in einem Waisenhaus, war lange Vorsitzender des Aufsichtsrates dieser Einrichtung. Bis zuletzt galt der Pfadfinder-Wahlspruch: "Wir respektieren uns gegenseitig wie wir sind - in unseren Reden und in unseren Handlungen und verweigern alle Formen von Intoleranz." Immer trieb ihn die Sorge um Gerechtigkeit um: "Niemand darf ausgeschlossen werden." So setzte er sich stets für jene Gruppen ein, die den Menschen beistehen: Als Gründungspräsident des Institutes für Sozialarbeit in der Region Champagne-Ardenne wirkte Davot seit 1991 dabei weit über das Département hinaus, zumal er zudem Mitglied dieses Institutes auf nationaler Ebene war.

Seit 1978 war er Vertreter des UDF-Abgeordneten Pierre Micaux in der Pariser Nationalversammlung, wurde 1980 Chevalier dans l'Ordre National du Mérite. 1983 wurde Davot zum dritten Male als Bürgermeister wiedergewählt; einen Gegenkandidaten der Linken gab es nicht. Unter den damaligen Beigeordnete waren George Fernandes (Dirigent der Harmonie Municipal) und Claude Radel (seit 2006 Gernsheimer Ehrenbürger). Dem Conseil Municipal gehörten zu dieser Zeit 23 Vertreter der Bürgerlichen, fünf Mandatsträger der Union aus Kommunisten und Sozialisten sowie ein Vertreter der freien (grünen) Liste an.

1989 hatte die Davot-Liste "Union pour l'expansion économique et sociale" nur noch knapp 43 Prozent der Stimmen erreicht - 1983 waren es noch 51 Prozent gewesen. Auf dem zweiten Platz landete - mit der freien Liste "Vivre mieux à Bar-sur-Aube" und gut 38 Prozent - sein späterer Nachfolger als Bürgermeister, Jean-Francois Leroux. Für die "Union de la Gauche" aus Sozialisten und Kommunisten waren 19 Prozent geblieben.

Bar ist "Empfangsbahnhof" für Gäste, die Haus und Grab von Charles de Gaulle in Colombey-les-deux-Eglises besuchen wollen. So stieg Davot schon mit vielen Staatsmännern, darunter auch der spätere Präsident Jaques Chirac, zum Lothringer Kreuz hinauf.

Davot bestach durch seine Souveränität, die aus der Haltung des distingué herrühren könnte. Dennoch hatte er keine Berührungsängste: mit dem Weißbinder und Tapezierer Friedrich Meine verband ihn ein Duz-Verhältnis. Als Bürgermeister und danach war sich der Franzose dessen stets bewusst, was er in der Verschwisterungsurkunde unterschrieben hattte. Das konnte er nicht nur in staatsmännischen Gesten ausdrücken, sondern im Alltag: Zeit nehmen für Gernsheim, die Kenntnis der deutschen Sprache erweitern, Freundschaften pflegen - kümmern eben.

Am 10. März 2001 wurde Davot aus seinem Amt verabschiedet. Für den Mann, der die Natur liebte, der gerne Holz bearbeitete, blieb dennoch wenig Freizeit, denn nach wie vor war er in sozialen Angelegenheiten unterwegs. Die Angelrute war auf dem Speicher verstaut, das Jagdgewehr hing am Nagel.

Catherine, Jean-Louis, Anne, Christophe und Charles heißen die Kinder Davots. Eine Tochter hat einen Sohn des Kinderbuchautors Paul Maar geheiratet und lebt in Berlin.

Wer Jean-Pierre Davot - am 18. Mai 1997 mit der Ehrenbürgerwürde der Stadt Gernsheim ausgezeichnet - näher kennen gelernt hat, kann die Ähnlichkeit im Wesen zu dem früheren Gernsheimer Bürgermeister Georg Schäfer erahnen. Vielleicht war es Glück, dass diese beiden Männer aufeinander getroffen sind. Jean-Pierre Davot, der Europäer mit Fortune, war offen, geradeheraus. Womöglich hat er deshalb in der Rheinstadt viele Freunde gefunden.

Heinrich Ehrler

Ein Fliegerleben:

Alte Aufnahme zeigt Heinrich Ehrler in einer Uniform.
Heinrich Ehrler

Den durch den warmen Golfstrom eisfreien sowjetischen Hafen Murmansk als strategisch wichtiges Tor für westalliierte Lieferungen abzuschirmen, war die Aufgabe des Jagdgeschwaders 5 (Eismeerjäger), das während des Zweiten Weltkrieges in Petsamo (Petschenga) an der finnisch-karelischen Grenze lag. Unter den Männern, deren Einsatzgebiet von Nordnorwegen über Nordfinnland und Murmansk bis zum Weißen Meer reichte, befand sich aIs Rottenführer auch Heinrich Ehrler.

Der "Jäger von Murmansk", wie Ehrler bereits als Leutnant betitelt wurde, war am 14. September 1917 in OberbaIbach bei Bad Mergentheim zur Welt gekommen. Im Schulalter zog er mit seinen Eltern - Vater Adam Ehrler betrieb das Zimmerhandwerk - in die Georgenstraße in Gernsheim, bevor er Berufssoldat wurde und die Rheinstadt nur noch während der Urlaube zu Gesicht bekam. 1935 wurde Ehrler zur Artillerie eingezogen, kam 1936 als Flak-Artillerist nach Spanien zur Legion Condor. Erst 1940 wurde er zum Flugzeugführer ausgebildet. Zunächst Pilot auf der Messerschmitt Bf 109 E-4 bei der ersten Staffel des Jagdgeschwaders 77, kam er am 24. Januar 1941 zu den Eismeerjägern.

Dort fliegt er mit seiner Rotte gegen alle britischen und sowjetischen Flugzeugtypen und Bomberverbände, steigt bis zu sechsmal täglich auf. Neben Major Theo Weissenberger und Oberstleutnant Schuck wird Heinrich Ehrler der erfolgreichste Jagdflieger im hohen Norden: Am 21. Oktober 1942 der 41. Luftsieg und Oberleutnant, am 18. März 1943 Hauptmann, am 13. April 1943 der 83. Luftsieg, am 2. August der 112. Luftsieg und - als 265. Soldat insgesamt und erster der Luftflotte - Eichenlaub zum Ritterkreuz des Eisernen Kreuzes. Insgesamt sind 204 Luftsiege nachgewiesen; bis 220 sollen es gewesen sein.

Anfang 1944 wird Major Heinrich Ehrler Kommodore der dritten Staffel des Jagdgeschwaders 5 und ist damit der jüngste Kommodore der Luftwaffe. 27 Jahre alt ist zu diesem Zeitpunkt der Mann, den Walter Henkels so beschreibt: "Sein Gesicht hatte zwei sehr tiefe Falten. Er hatte ein scharfes, kantiges Gesicht. So sah also ein Flieger aus, so sah ein Mensch aus, der in erbitterten und turbulenten Luftkämpfen damals mehr als 100 Gegner abgeschossen hatte."

Nach dem 12. November 1944 verstand der verlobt gewesene Heinrich Ehrler, der nach der Erinnerung seines Bruders Willi um den Jahreswechsel 1942/1943 Ehrenbürger der Stadt Gernsheim geworden sein muss, die Welt nicht mehr. Er war zutiefst verletzt durch ein Kriegsgerichtsurteil des Luftwaffen-Feldgerichtes in Oslo, dem die Versenkung des Schlachtschiffes "Tirpitz" durch britische Streitkräfte vorausgegangen war. Die "Tirpitz" war mit 52 600 Tonnen das größte Schlachtschiff des Zweiten Weltkrieges und Renommierobjekt für die Nationalsozialisten. Etwa tausend Mann verloren bei der Versenkung das Leben. Dafür wurde auch der Staffelkommodore Heinrich Ehrler verantwortlich gemacht. Ihm wurde vorgeworfen, in die Luft gestiegen zu sein, um aus Ehrgeiz seinen zweihundertsten Abschuss zu erzielen, anstelle vom Boden aus die Abwehr zu leiten.

Vier Wochen nach dem Urteil wurde er, der zu keiner Zeit der Partei angehörte, rehabilitiert. Es erfolgte die Umschulung zum Einsatz mit der Me 262, dem ersten Turboflugzeug der Luftwaffe. Mit dieser schnellen Maschine erzielte Major Heinrich Ehrler in der Reichsverteidigung noch einige Luftsiege. Am 4. April endete sein Leben: Nahe der Reichshauptstadt rammte er eine B-17, stürzte ab. Ehrler wurde in Stendal beigesetzt.

Die Verleihung der Ehrenbürgerwürde an den Major ist wohl nur in dem zeitlichen Zusammenhang zu verstehen, in dem sie steht. Es darf bezweifelt werden, dass Ehrler heute auch Ehrenbürger der Stadt würde. 

Wilhelm Fritsch

Mut und Verantwortung:

Wilhelm Fritsch sitzt in einem Sessel und hat einen Bildband in der Hand.
Wilhelm Fritsch

"Sie waren immer für uns da und haben eine erstaunliche Toleranz bewiesen." Mit diesen Worten verabschiedete eine Schülerin ihren vormaligen Klassenlehrer in den Ruhestand. Weitere Bezeichnungen lauteten "Schlichter" und "Brückenbauer". Erstere kann sich auf einen ebenso erwähnten "Führungsstil der Kollegialität" beziehen, zweitere womöglich auf die Initiierung dreier Partnerschaften der Rüsselsheimer Max-Planck-Schule: mit Cournon (Vorort von Clermond-Ferrand), Moskau und Prag. Gemünzt waren diese Stichworte auf den am 5. Juni 1933 in Stolzenhain (Bezirk Karlsbad) im Erzgebirge geborenen Wilhelm Fritsch.

Der "verantwortungsvolle Gestalter einer gesunden Schule" kam 1946 als Heimatvertriebener mit den Eltern nach Gernsheim an den Rhein. Aktiver Fußballer beim Sportverein Concordia, Abitur im ersten Abiturjahrgang am Gymnasium Gernsheim, Studium der Mathematik und Physik in Frankfurt am Main und der pädagogische Einsatz am Gymnasium der Rheinstadt ab 1960 sind weitere Stationen. Mit Leib und Seele Pädagoge, rankten sich um die Tätigkeit als Lehrer viele weitere Aktivitäten: Unterausschuss Feinmechanik und Optik des Deutschen Institutes für Normung, DIN-Ausschuss für Lehr-, Lern- und Ausbildungsmittel, Kommission Bildungswesen beim Deutschen Institut für Normung in Berlin, langjähriger Vorsitzender des Personalrates, Fachleiter am Studienseminar Darmstadt. Sein Credo: "Werte kann man nicht mit Beliebigkeit vermitteln." Am Rüsselsheimer Max-Planck-Gymnasium war Wilhelm Fritsch von 1991 bis zum Ruhestand 1998 Direktor.

Bereits 1964 fand Fritsch, seit 1960 mit Gisela Wetzel verheiratet, in die Politik, war bis 1970 Sprecher der CDU-Fraktion, wurde 1971 Stadtverordnetenvorsteher. In dieses Amt wurde er neunmal gewählt, übte es als profilierter Kommunalpolitiker bis Oktober 2004 aus: "Es ging mir immer um ein lebens- und liebenswertes Gernsheim." Es war für ihn, der gerne argumentierte und um den besseren Weg stritt, sicher nicht immer einfach, neutral Sitzungen zu leiten. Dennoch attestierte beim Silberjubiläum auch die Opposition: "Sie haben Ihre Vermittlerrolle hervorragend geleistet." Kompensieren konnte er diese parteilose Aufgabe mit der Oppositionsrolle im Kreistag Groß-Gerau, dem er von 1972 bis 2004 angehörte.

Dort gehörte seine Leidenschaft der Schulpolitik. Dabei empfand er große Genugtuung darüber, dass sich seine schulpolitischen Einstellungen mehr und mehr durchgesetzt hätten. Dem Kommunalpolitiker wuchsen weitere Aufgaben zu: lange Jahre Vorstandsmitglied seiner Partei, sechs Jahre lang auch Vorsitzender, stellvertretender Vorsitzender der Regionalen Planungsgemeinschaft Starkenburg, Regionale Planungsversammlung Südhessen, 1972 bis 2006 Verwaltungsrat der Kreissparkasse Groß-Gerau. Von der hessischen Sparkassenorganisation erhielt Fritsch die Dr. Johann-Christian-Eberle-Medaille. Zudem war er seit Einführung dieses Dienstes lange Zeit Lektor in der katholischen Pfarrgemeinde St. Maria Magdalena.

Die Frage nach der Genugtuung in dieser Arbeit beantwortete Fritsch einmal so: "Es macht Spaß, die Stadt mitzugestalten, Verantwortung zum Nutzen aller zu tragen." Dankbar ist Wilhelm Fritsch, der auch dem Obst- und Gartenbauverein und dem Bund der Vertriebenen angehört, dass er von seiner Frau und der Familie (vier Kinder, sieben Enkel) getragen wurde: "Anders geht das auch nicht."

Sein großes und seltenes Lebenswerk sei geprägt von Mut und Verantwortung für den Nächsten, hat ein Laudator über den mit dem Bundesverdienstkreuz geehrten Wilhelm Fritsch gesagt. Daran denkt dieser auch nach seinem Rückzug aus der Politik: Er widmet sich Geschichte, Kultur und Kunst in der Schöfferstadt. Die zeichnete ihn schon 1989 mit der goldenen Ehrenmedaille und 2004 mit der Bezeichnung "Ehrenstadtverordnetenvorsteher" aus. Am 30. April 2006 wurde Fritsch wegen seiner Verdienste um die Entwicklung der Stadt zum Ehrenbürger ernannt.

Louis Gutjahr

Der Pionier:

Alte Aufnahme zeigt Louis Gutjahr in einem Anzug.
Louis Gutjahr

1907 ernannte die Stadt Gernsheim einen Mann zum Ehrenbürger, der "dort und überall sonst für Wohltätigkeitseinrichtungen und Vereine eine offene Hand hatte": Kommerzienrat Louis Gutjahr, Pionier der Rheinschifffahrt. Er war, wie ein Zeitgenosse schrieb, "ein Selfmademan im wahrsten Sinne des Wortes." Als vierter Sohn des Schiffers Heinrich Gutjahr II. und dessen Frau Anna Maria, geborene Hofmann, wurde Louis am 6. Mai 1847 in Gernsheim geboren, wahrscheinlich in der Schafgasse, denn dort besaßen die Eltern nach einer Niederschrift des Bruders Andreas ein Häuschen.

Bereits in der Volksschule - eine andere Schullform gab es damals in der Stadt nicht - zeichnete sich Gutjahr aus: Stets war er der erste Schüler. Vierzehnjährig begann der Dienst als Schiffsjunge auf dem 1858 erbauten Holzschiff des Vaters. 1868 diente Gutjahr in der Artillerie-Kaserne Bessungen, bevor er sich im Oktober desselben Jahres in Rotterdam auf das holländische Fregattschiff "Nestor" als "starker Schiffsjunge" anwerben ließ. Matrose konnte nur werden, wer bereits einige Seereisen hinter sich hatte. Seine erste große, 123 Tage dauernde Reise führte ihn nach Singapur, Batavia, Java, Sumatra und nach St. Helena.

Bei Ausbruch des Krieges 1870 befand sich Louis Gutjahr als Matrose auf einem Rheinschiff und musste die Heimreise zur Garnison in Darmstadt antreten. Nach dem Feldzug beim Trainbegleitungskommando arbeitete er vier Jahre bei der Düsseldorfer Personen-Dampfschifffahrtsgesellschaft (Köln- Düsseldorfer) als Matrose auf der "Elberfeld". Der Übersiedlung nach Mannheim folgte zunächst die Übernahme einer Kolonialwarenhandlung namens "Louis Gutjahr, Schiffer und Schiffsbedarf". Bald schon wurde der Betrieb in ein Transportunternehmen auf dem Rhein umgewandelt, mit dem Ankauf von Schiffen begonnen. Die Brüder Andreas und Ignaz traten der Firma bei. 1880 gründete Gutjahr eine Niederlassung in Antwerpen, wohin die Familie 1881 in die Avenue van Eyck zog. Am1. August 1887 wurde die Firma in eine Aktiengesellschaft umgewandelt: "Badische Aktien-Gesellschaft für Rheinschiffahrt und Seetransport" in Mannheim und "Société Anonyme Badoise pour la Navigation sur le Rhin et les transports maritimes" in Antwerpen. Als Generaldirektor hatte Louis Gutjahr die Leitung des Unternehmens.

1899 erfolgte in Straßburg die Errichtung einer General-Agentur der Gesellschaft, zu der sich am 1. Januar 1901 in Rotterdam eine weitere Niederlassung gesellte. Louis Gutjahr hatte es verstanden, die Gesellschaft zu großer Blüte zu bringen. Immer wieder erfolgten Kapitalerhöhungen, so dass der Stamm 1901 bereits vier Millionen Mark betrug.

Generaldirektor Gutjahr erfasste mit weit schauendem Blick die Ziele und Bedürfnisse der Reederei. Zunächst konzentrierte man sich auf Eilfahrten zwischen Antwerpen und Mannheim, um später auch im Rotterdamer Verkehr eine bedeutende Rolle zu spielen. "Ohne Übertreibung", berichtet ein Zeitgenosse, "war die Gesellschaft für den Frachtenmarkt zwischen den belgischen und holländischen Häfen nach dem Oberrhein ausschlaggebend."

Um die Jahrhundertwende nahmen der Gernsheimer und die Mannheimer Reederei FendeI Kontakt auf. 1904 schrieb Gutjahr an den "Stadtrath Direktor Conrad Fendel" und bat um ein Gespräch, bei dem er - wie er schrieb - "wir Ihnen Vorschläge bezüglich Zusammenarbeit der verschiedenen Gesellschaften zu unterbreiten" gedachten. Verbindungen gibt es noch heute: Drei Enkelinnen des Conrad Fendel haben bereits das private Gernsheimer Schifffahrtsmuseum von Josef Adler besucht.

Die Bedeutung der Schifffahrtsverbindung von Belgien nach Süddeutschland wurde dadurch dokumentiert, dass König Leopold II. im April 1899 Louis Gutjahr zum "Chevalier de I'ordre de Leopold" ernannte. Als Komiteemitglied der belgischen Handelskammer hatte der Gernsheimer auf die Ausgestaltung der Handels- und Verkehrsverhältnisse in Belgien so großen Einfluss ausgeübt, dass er in dem Werk "La Belgique d'aujourd'hui" mit Bild und sogar deutsch verfasstem Text vertreten war.

Für die Förderung, die der Gernsheimer im Ausland dem deutschen Handel und allen deutschen Interessen angedeihen ließ, wurde ihm von Großherzog Ernst Ludwig von Hessen der Titel eines Kommerzienrates verliehen. 1907 schließlich ernannte ihn seine Heimatstadt Gernsheim zum Ehrenbürger.  1913 zog sich Louis Gutjahr in sein Sommerhaus "Villa Catarina" nach Auerbach an die Bergstraße zurück, wo er am 11. Juni 1919 starb.

Schwester Ida

Ora et labora:

"Wir haben eine Mutter verloren", bekannte der Rheinische Bote in seiner Ausgabe vom 12. Mai 1915 zum Tode von Schwester Maria Ida, in der Welt Franziska Glade. Die Ordensfrau, die "die Liebestätigkeit einer barmherzigen Schwester in reichstem Maße ausübte", war am 28. Oktober 1846 in Nieder-IngeIheim geboren. 1870 war sie in die Kongregation der Schwestern von der Göttlichen Vorsehung eingetreten. "Diese Ordensgenossenschaft ist also ein lebendiges Denkmal des großen Bischofs, dieser gewaltige Schwur Gottes in der Geschichte des Mainzer Bistums und darüber hinaus in der Geschichte des katholischen Deutschlands!” So urteilt die Festschrift zum Ordensjubiläum über die Kongregation, die von Sozialbischof Wilhelm Emmanuel Freiherr von Ketteler gestiftet worden war.

Schwester Ida pflegte als Postulantin in Bürstadt verwundete Soldaten. Dieser Tätigkeit in der Krankenpflege ging sie in den folgenden Jahren auch in Mühlheim, Dieburg, Weisenau und Hechtsheim nach. In den Kriegen von 1866 und 1870/71 hatten sich die Schwestern gut bewährt. Ärztliche Anerkennungen hierfür lagen von Gernsheim, Oppenheim, Wörrstadt, Vilbel, Biedenkopf und anderen Städten vor. Ab 1884 wurden Schwestern eigens in der Krankenpflege ausgebildet.

Das Wirken der Nonnen in Gernsheim hatte bereits 1860 begonnen. Von diesem Jahr bis 1875 waren sie in der Volksschule tätig. Hinzu kamen 1870 die Lazarettpflege, später die ambulante Krankenpflege und Erziehung der Jugend im Kindergarten St. Josef, dem späteren Anne-Frank-Haus. 1868 übernahmen sie das Marienheim und führten private Haushalte bei Hilfsbedürftigen. Ab 1926 waren die Ordensfrauen auch im Barbarastift tätig. Insofern haben die Gernsheimer viele Jahre lang erfahren, "dass in dieser Gemeinschaft etwas vom Geiste und Willen Kettelers weiterlebte."

Am 2. April 1889 wurde Schwester Ida als Oberin an das Gernsheimer Armenhaus (Marienheim) berufen. "Die Ehre Gottes, der Schmuck seines Hauses waren ihr innerste Herzensangelegenheit”, berichtet der Chronist des Rheinischen Boten. Sie setzte sich mit ganzer Kraft für ihre hilfsbedürftigen Mitmenschen ein. Das führte zu Überlegungen, die im Rats- Protokollbuch vom 24. April 1913 niedergelegt sind: "Die Ehrenbürgerschaft an Schwester Ida wird 20 bis 30 Mark kosten. Ein Geldgeschenk an die Schwester 100 Mark." Weiter heißt es im Protokollbuch am 5. März 1914: "Jubiläum der Schwester Ida. Es wird eine Kommission, bestehend aus 2 Gr. Beigeordneten, den Gemeinderatsmitgliedern Gerlach und Medicus bestimmt, welche beauftragt wird, das Jubiläumsfest in einer der Gemeinde würdigen Form vorzubereiten."

Bereits am 28. März 1914 wird erwähnt: "Die Vorsteherin der hiesigen Krankenschwestern, Schwester Ida, feiert am 2.4.1914 den Tag, an dem dieselbe hier in Gernsheim 25 Jahre lang wirkte. In der Gemeinderatssitzung am 5.3. dieses Jahres wurden Unterzeichnete damit betraut, einen Vorschlag zu unterbreiten, die Stadt solle einen Beschluß fassen, den Ehrenbürgerbrief der Stadt zu überreichen. Außerdem zur persönlichen Verwendung einen Geldbetrag von M 100,--. Hofmann, Gr. Beigeordneter."

Über das Fest berichtet der Rheinische Bote danach: "Kein Wunder, daß ganz Gernsheim im April 1914 auf festlichste Weise ihr silbernes Oberinnenjubiläum feierte, daß ihre Brust geschmückt wurde mit der goldenen Verdienstmedaille des Ludwigordens und daß sie das Ehrenbürgerrecht unserer Stadt erhielt, das noch keiner Frau zuteil geworden war." Keine andere Frau hat diese Auszeichnung seither erhalten.

Bereits seit Ausbruch des Ersten Weltkrieges kränkelte Schwester Ida, die ohne Rücksicht auf die eigene Gesundheit sich ganz in den Dienst der Kranken und Alten stellte. Am 4. Mai 1915 starb sie, wobei die amtliche Todesanzeige feststellte: "Das Leben der Verblichenen war eine Verkörperung des alten christlichen Spruches "Ora et labora - Bete und arbeite."

Ludwig Lenhart

Päpstlicher Hausprälat:

Alte Aufnahme zeigt Ludwig Lenhart in der Profilansicht.
Ludwig Lenhart

"Aus Dankbarkeit dafür, dass er durch sein Wirken und seinen Ruf als akademischer Lehrer dazu beigetragen hat, das Ansehen seiner Heimatstadt zu mehren", wurde Professor Dr. Ludwig Lenhart am 25. Januar 1967 die Ehrenbürgerschaft der Stadt Gernsheim verliehen. In seiner Anregung zu der Auszeichnung hatte Ruhestands-Schulrat Franz Schmidt darauf hingewiesen, dass Lenhart “den Ruhm der Stadt Gernsheim in außergewöhnlichem Maße vermehrt hat.”

Dort, am 29. Januar 1902 geboren, zeigte der junge Ludwig als Heranwachsender bereits Interesse an der bewegten Geschichte des Städtchens am Rhein. "In seinem Onkel Georg Lenhart, hervorragender Pädagoge in der Lehrerausbildung in Bensheim, später Abgeordneter des Zentrums im Hessischen Landtag, nach Mainz als Domkapitular berufen, fand Ludwig Lenhart den entscheidenden geistlichen Mentor und sein großes Vorbild", schrieb der damalige Gernsheimer Stadtpfarrer Dr. Hanns-Albert Reul in einem Nachruf 1971.

Nach Gymnasialzeit und Studium erhielt der junge Diakon am 20. März 1926 von Bischof Ludwig Maria Hugo die Priesterweihe. Sein Primizbild trug die Reproduktion eines alten Kupferstiches der Pietà von Maria Einsiedel. Danach erlebte er als Kaplan in Heppenheim eine mehr katholische und traditionsgebundene Gemeinde. Ein weiteres Studium in Freiburg schloss sich an. Bei Andreas Feit promovierte Lenhart mit "Seelennot aus Lebensenge. Das Problem Lebensraum und Sittlichkeit nach Bischof W. E. v. Ketteler".  Von 1932 bis 1936 war Offenbach Einsatzort des Priesters. Er geriet in Konflikt mit den braunen Machthabern, die ja geradezu einen Instinkt besaßen für Menschen, die ihnen aus Intelligenz und Überzeugung widerstanden.

Die entscheidende Wende in dem jungen Priesterleben trat mit der Berufung zum Assistenten an das bischöfliche Priesterseminar in Mainz im Oktober 1936 ein. Mit Begeisterung wandte sich Ludwig Lenhart der Homiletik (Geschichte und Theorie der Predigt) und der Kirchengeschichte zu. Pfarrer Reul: “Diese war für ihn mehr als eine Aufeinanderfolge von Ereignissen, sie war ihm die Entfaltung des mystischen Leibes Christi in Raum und Zeit.” 1938 wurde der spätere Ehrenbürger Professor an der Philosophisch-theologischen Hochschule Mainz. Er habilitierte mit "Die erste Mainzer Theologenschule des 19. Jahrhunderts (1805-1830)". 1946 erhielt Lenhart einen Ruf an die Johannes-Gutenberg-Universität. Dort wirkte er zeitweise als Ordinarius für Kirchengeschichte und Patrologie. In die Kriegszeit fällt sein Drängen, aufgrund dessen die Feuerwehr “entgegen dem geheimen Befehl von oben” (Dr. Reul) den Brand des Domes löschte.

Beim Einzug der Glocken der katholischen Pfarrgemeinde St. Maria Magdalena 1951 deutete Ludwig Lenhart die liturgische Bedeutung des Geläutes. 1956 hielt der Gelehrte in seiner Heimatstadt die Festrede “600 Jahre Verleihung der Stadtrechte”, arbeitete an einer Reihe wissenschaftlicher Werke. Als Mitherausgeber und Hauptschriftleiter schrieb er regelmäßig Beiträge zum "Archiv für mittelrheinische Kirchengeschichte". 1960 fungierte der Gernsheimer als Herausgeber der Festschrift “Universitas - Dienst an Wahrheit und Leben” zum silbernen Bischofsjubiläum von Dr. Albert Stohr.

In der 1966 bis 1968 erschienen Biographie  "Bischof Ketteler" stellte Lenhart dessen religiöse und soziale Bedeutung in einer sich umorientierenden Zeit dar. In drei Bänden lässt er den Staats- und Sozialpolitiker, den Theologen der Gesellschaftsreform und den ahnungsvollen Verfechter echter Kollegialität zwischen Papst und Bischöfen entstehen. Hinzu kommen kleinere Werke zur Heimatgeschichte. Allgemein bekannt ist sein Beitrag über die Gnadenkapelle Maria EinsiedeI, abgedruckt im Heimatbuch 1956. Eine weitere Schrift galt dem urwüchsigen, wortgewaltigen Kanzelredner Jakob Blum, ehemals Pfarrer in Gernsheim.

Das eigene Lebenswerk des Professors rundete sich ab, als er 1970 sein letztes Werk als Herausgeber vorstellte: "Die Seele des Mainzer Domes”. Es ist eine Sammlung von Predigten des Onkels, Domkapitular Prof. Georg Lenhart, die infolge der 1928 beendeten Renovierung der Kathedrale entstanden waren. “Die Seele des Domes, die Seele der Landschaft am Mittelrhein wollte Lenhart immer wieder ergründen” (Dr. Reul). Seine römische Kirche dankte ihm durch die Ernennung zum Päpstlichen Hausprälaten, die Stadt Gernsheim erwies ihm mit der Ehrenbürgerschaft eine hohe Wertschätzung. Prof. Dr. Ludwig Lenhart starb am 20. Januar 1971 in Mainz.

Andreas Malsy

Der Baumeister:

Alte Aufnahme zeigt Andreas Malsy in Portraitaufnahme.
Andreas Malsy

Pfarrer Andreas Malsy hat in der Zeit vom 16. August 1944 bis zum 26. August 1962 Jahre tiefsten Niederganges, äußerster seelischer und körperlicher Belastung, Kriegsende und Zerstörung von Stadt und Kirche miterlebt. Unbestreitbar ist, dass er in tiefer persönlicher Frömmigkeit und edler Geduld vieles für die Pfarrgemeinde getan hat. Der Wiederaufbau der Kirche, das herrliche Geläute, die prachtvolle Orgel und der Grundstein für das Kettelerhaus zeugen von seinem Wirken.

Am 12. Juli 1900 wurde Andreas Malsy in Seligenstadt geboren. 1924 zum Priester geweiht, folgten Kaplansjahre in Lindenfels, Mainz und Alzey, Tätigkeiten als Religionslehrer in Heppenheim und ab 1936 als Pfarrer in Erbes-Büdesheim. Dort setzte ihm der Ungeist der Zeit zu: Immer wieder gab es Auseinandersetzungen mit den Nazis. 1944 führte den Studienkollegen des nachmaligen Mainzer Hermann Kardinal Volk der Wille des Bischofs in die Schöfferstadt, "wohin ich wegen der Schnaken erst gar nicht wollte".

Dass aber dann eine tief verwurzelte Bindung an die Stadt und ihre Menschen entstand, findet seine Begründung wohl in der unermüdlichen Aufbauarbeit an dem 1753 entstandenen Gotteshaus, die unzweifelhaft zu seinem ganz persönlichen Anliegen wurde. Den Gläubigen wieder eine Kirche zu geben, in dem das Wort Gottes verkündet werden konnte, galt der Eifer, den er aus seinem Verständnis des priesterlichen Auftrages bezog. Pfarrer Dr. Hanns-Albert Reul, ab 1962 Nachfolger des aus gesundheitlichen Gründen in die kleinere Gemeinde Klein-Winternheim versetzten Priesters, machte die damalige Aufgabe Malsys bei dessen goldenem Priesterjubiläum 1974 in Gernsheim deutlich: "Es ist eine der ersten Aufgaben des Priesters, die Gewalt dem Teufel zu entziehen und die frohe Botschaft zu bringen."

“Ich habe vor dieser Stunde gezittert, und schäme mich der Tränen nicht”, bekannte der Priester, als er 1962 von der Rheinstadt Abschied nahm. Die tiefe Verbindung zu Gernsheim überdauerte den nachfolgenden Einsatz in Klein-Winternheim und den späteren Umzug nach Mainz. "Ich habe mit Sehnsucht darauf gewartet mit euch diese Feier zu begehen", sagte der Geistliche beim goldenen Priesterjubiläum 1974 in Gernsheim, "durch Gottes Gnade ist es erreicht." An seinem Ehrentag zeichnete ihn die Stadt mit der Ehrenbürgerwürde aus: "Die Verleihung erfolgt als Ausdruck der Dankbarkeit dafür, dass Herr Pfarrer Malsy durch den Wiederaufbau der Pfarrkirche St. Maria Magdalena der Stadt Gernsheim dieses Bauwerk in alter Schönheit wiedergegeben und damit gleichzeitig ein sichtbares Zeichen des Ausdruckswillens unserer Vorfahren in traditioneller Verpflichtung neu geschaffen hat." Pfarrer Malsy dankte: "Nun bin ich hier, wo meine Seele die Heimat erkennt, und dafür bin ich allen Gernsheimern dankbar."

1976, zur Verschwisterung mit Bar-sur-Aube in der Champagne, entbot der Ehrenbürger ein Grußwort. Dabei wurde, bei aller früheren Strenge, die Feinfühligkeit und Gewandtheit dieses Mannes deutlich. An die Franzosen gerichtet, bat er um Verzeihung "für meine Misshandlungen Ihrer Muttersprache, die ebenso voller Anmut, Leichtigkeit, Feinheit, Eleganz und Geist ist wie Ihr berühmter Wein."

Der Marienverehrer verstarb am 16. Juli 1986, dem Gedenktag Unserer lieben Frau auf dem Berge Karmel, und wurde im Gernsheimer Priestergrab beigesetzt. Bis zuletzt hatte er finanziell schwache Familien in der Schöfferstadt unterstützt. Bei seiner Beisetzung würdigte der Mainzer Generalvikar Martin Lulay den Verstorbenen: “Er war ein guter Priester und ein leuchtendes Vorbild.”

Zum Gedenken an Andreas Malsy hat einer seiner Nachfolger, Pfarrer Willi Heinrich Knapp, 1993 in der Pfarrkirche St. Maria Magdalena eine Tafel mit den Lebensdaten enthüllt und geweiht. Sie soll dazu anhalten, "diesem vorbildlichen und selbstlosen Hirten im Gebet zu gedenken.”

Claude Radel

Katalysator der Beziehung:

Portraitaufnahme von Claude Radel
Claude Radel

Als Sohn des Metzgers Julien und dessen Ehefrau Maria wurde Claude Radel am 15. Mai 1946 in Lagesse im Département Aube geboren. An der Ecole des Mines in Nancy studierte der frühere Vizepräsident des Comité des Jumelages Ingenieurwesen mit den Schwerpunkten Organisation und Informatik. Das befähigte ihn, als selbständiger Unternehmer einen Betrieb für Baumaterialien in Gernsheims französischer Partnerstadt Bar-sur-Aube zu leiten. Dorthin hatte es ihn 1973 gezogen.

In seiner Schulzeit hatte Claude Radel an einem deutsch-französischen Schüleraustausch teilgenommen und Freude an der deutschen Sprache gewonnen, deren Kenntnis er ständig verbesserte.

Mit 31 Jahren, 1977, zog Radel in den Conseil Municipal (Stadtverordnetenversammlung) ein. Er wollte am lokalen Leben von Bar-sur-Aube teilnehmen, sich in die Entwicklung der Gemeinschaft und der Stadt einbringen. "Es ist sehr wichtig im Leben, einen Teil seiner selbst den anderen zu geben", meint er. Und: "Am besten ist, wenn man dabei auch noch Freude hat." Die entwickelte Claude Radel gleich nach seiner Wahl auch im Verschwisterungskomitee. Er "pflegt mit Begeisterung und Beständigkeit den Herd, der der Freundschaft unserer beiden Städte Wärme gibt und dessen Flamme er fortwährend am Leben erhält" (Davot).

Vorsitzender im Rat und Bürgermeister war damals Jean-Pierre Davot, den Radel politisch immer unterstützt hat. Bald wurde er zum stellvertretenden Bürgermeister gewählt - und sollte es 24 Jahre lang bleiben. Als Erster Beigeordneter stand er unter erheblicher Arbeitsbelastung - hatte er doch auch noch sein Unternehmen zu führen. Dennoch war sein Tun von hoher Einsatzbereitschaft geprägt. Im März 2001 verließ der hilfsbereite und fleißige Organisator - wie auch Davot - den Conseil Municipal.

Die großen Verdienste, die sich Radel um den Austausch von Vereinen und Gruppen erworben hat, wurden öffentlich nie sehr deutlich. Er hielt sich als Organisator und Macher mehr im Hintergrund. Dabei stand er immer als Ansprechpartner zur Verfügung, wenn es "klemmte", wenn Quartiere für Gäste gesucht wurden. Der "Katalysator für Verbindungen zwischen den Vereinen der Partnerstädte" (Wilhelm Fritsch) half bereitwillig bei der Vorbereitung und Ausführung von Besichtigungen in Bar und der Region. In der Anfangsphase der Verschwisterung war die freundschaftliche Verbindung zwischen dem Franzosen und Fischerfestpräsident Hans Bikoni prägend. Sein Anliegen, auch in den Unternehmen für Kontakte und Praktika zu sorgen, hat er selbst immer wieder verwirklicht. Damit hat er jungen Menschen Anregungen gegeben und ihnen zu einer Sicht über die nationalen Grenzen hinaus verholfen.

Wenngleich noch aktives Mitglied im Verschwisterungskomitee, konnte der Vater zweier Söhne und Großvater seitdem seinen Hobbies etwas mehr frönen: Kino, Lesen und Handwerkern. "Mit dem geliebten Ski fahren klappt es nicht mehr ganz so gut wie früher." Die Zukunftspläne des eher ruhigen, besonnenen Mannes bestanden aus der Sicherung des Unternehmens und der allmählichen Vorbereitung des Ruhestandes, den er mit dem Rückzug aus der Politik in einem Teilbereich schon eingeleitet hatte.

1996 bereits mit der goldenen Ehrenmedaille der Schöfferstadt ausgezeichnet, wurde er am 30. April 2006 zum Ehrenbürger ernannt.

Georg Schäfer

Ein Glücksfall für Gernsheim:

Portraitaufnahme von Georg Schäfer. Hintergrund ist schwarz.
Georg Schäfer

"Herr Bürgermeister, Sie haben sich um Gernsheim verdient gemacht!" So bilanzierte der damalige CDU-Fraktionsvorsitzende Anton Dreiseitel 1981 in der letzten Stadtverordnetensitzung mit Georg Schäfer dessen 30-jährige Amtszeit. Begonnen hatte die Kombination des Schicksals einer Stadt mit dem Leben eines Menschen so: "Am 8. Januar 1951 ist die Gemeindevertretung bei starker Beteiligung der Bevölkerung im großen Saal des Herrn Valentin Esselbach zusammengetreten, um die Bürgermeisterwahl vorzunehmen. Unter fünf Bewerbern wurde Georg Valentin Schäfer mit elf Stimmen zum Bürgermeister der Stadt Gernsheim auf sechs Jahre gewählt." Mit diesen Worten beschreibt Schäfer seine Wahl als Nachfolger von Peter Adler selbst im Beitrag "Gernsheim im Aufbau nach 1945" im Heimatbuch 1956. Am 1. Februar 1951 trat der damals Siebenundreißigjährige seinen Dienst für die Stadt Gernsheim an. Am 31. Januar 1981 verabschiedete sich der imposante Mann von dieser Funktion.

Das berufliche Leben des Georg Schäfer begann nach der Primarreife am 1. April 1931 als Volontär und Kanzleigehilfe beim Amtsgericht der Rheinstadt. Während der von den Nationalsozialisten betriebenen Säuberung des Berufsbeamtentums wurde er 1937 von einem zum anderen Tage entlassen. Nach dem Arbeitsdienst folgten verschiedene Anstellungen. Der zweijährige aktive Wehrdienst endete 1938; im Juli 1939 heiratete er Johanna Dölle, mit der er fünf Kinder hat. Den sechsjährigen Kriegsdienst beendete Schäfer als Leutnant der Fronttruppe in englischer Gefangenschaft. Dort lernte er Dr. Dehmer kennen, den er später als Leiter des Gymnasiums für Gernsheim gewann. Seit 1947 war er bei der Vertriebsgesellschaft der Röhm und Haas GmbH tätig.

Nach dem Krieg, so Georg Schäfer, "wollte ich neben meiner Familie auch etwas für die Mitmenschen tun". Denn es galt Elend und Not zu überwinden. So schloss er sich der unabhängigen Wählergruppe an, für die er am 25. April 1948 in die Stadtverordnetenversammlung gewählt wurde. Selbst als er im ersten Anlauf 1948 bei der Bürgermeisterwahl durchfiel, hemmte dies seinen Tatendrang nicht.

Die Haushaltsentwicklung der Stadt zeigt auf, wie zielstrebig dieser selbstbewusste Mann in den 30 Jahren seiner Tätigkeit am Auf- und Ausbau seiner Heimatstadt gearbeitet hat. Waren es zu Beginn nicht einmal eine volle Million, umfasste das Budget am Ende seiner Amtszeit 15 Millionen Mark. Doch dies allein ist noch kein Maßstab, denn, so Schäfer selbst: "Ich halte nicht viel von der Forderung nach Wachstum um jeden Preis!" Gradmesser für die Wirkung ist das Erreichte: In Schäfers Amtszeit fallen der Ausbau des Gymnasiums zur Vollanstalt, die Einrichtung einer Real- und Sonderschule sowie die Aufgeschlossenheit bei der Bereitstellung des Geländes für die Johannes-Gutenberg-Schule. Stolz war der Verwaltungschef auch auf den vollständigen Ausbau der Kanalisation als Vorstufe für den Straßenbau. Schäfer hat nie - wie viele andere seiner Bürgermeisterkollegen - für den Kreistag kandidiert. Er wollte seine ganze Zeit der Heimatstadt widmen, ging "mit ihr schwanger", wie er selbst sagte, wollte aus ihr eine “Stadt mit Herz” formen. "Das ist ihm gelungen. Gernsheim ist die Kleinstadt, in der man gerne wohnen möchte, geblieben", bilanzierte Karl Forster im Darmstädter Echo.

Ein besonderes Anliegen war dem Stadtoberhaupt die Sanierung der Altstadt. So gelungene Plätze wie Fischerbrunnen, Schöfferplatz und Rosengarten beweisen das. Krönung dieses Werkes war die Neugestaltung des Stadtplatzes mit dem Eulenbrunnen, der heute den Namen  Georg Schäfers trägt. Zu erwähnen sind zudem der Bau des Wasserwerkes und der Sportanlagen am Rhein. Das Hallenbad war über die Grenzen Gernsheims hinaus beliebt. Die Beseitigung der Bahnübergänge in der Stadt und der Bau der Stützpunktfeuerwache gehören ebenso zu seinen Plänen wie die Integration der Stadtteile Allmendfeld und Klein-Rohrheim. Weitere Stichworte sind Alten- und Pflegeheim Marienheim, Kläranlage, Industrieansiedlung, die Vermeidung von Wohnungshalden und anderes mehr.

Es war freilich nicht das Werk dieses Mannes allein, alle haben angepackt. Aber Schäfer hatte die Fäden in der Hand, hat mit Augenmaß und Sinn für eine harmonische Entwicklung ein organisches Wachstum erreicht. Insofern hat es seine Berechtigung, wenn Stadtverordnetenvorsteher Wilhelm Fritsch 1976 beim 25-jährigen Jubiläum des Bürgermeisters von einem einmaligen Glücksfall für Gernsheim sprach. “Der Erfolg ist nicht einfach zugefallen, sondern durch hohen persönlichen Einsatz und unermüdliche Tatkraft erarbeitet worden.”

Auf sein Verhältnis zu den Parteien befragt, meinte der Bürgermeister, CDU-Mitglied, dass sie nichts Vollkommenes darstellen. Er fühlte sich nicht besonders wohl, als er für vier Jahre den CDU-Vorsitz übernahm. Es war ein Schuh, der ihm zwar passte, den er aber auch gerne wieder auszog. Besonders bedauerte er 1981 die Polarisierung in den letzten Jahren seiner Amtszeit. Und er wiederholte ein Wort, das er schon 1974 bei seiner Wiederwahl an die Adresse der SPD gerichtet sagte: "Die Parteipolitik spielt für Sie eine größere Rolle als für mich. Zuerst kam immer die Stadt, dann die Partei." Das bestätigen die CDU-Vorsitzenden seiner Amtszeit gerne, wenngleich sie sich vielleicht doch mehr Engagement des Mannes mit Ecken und Kanten in der Partei gewünscht hätten.

Aber dass Schäfer der Bürgermeister aller Gernsheimer sein wollte, sich nicht parteipolitisch "vernagelte", ist ein Aspekt zur Beantwortung der Frage, warum er so beliebt war. Der “Schorsch”, wie er liebevoll-anerkennend genannt wurde, arbeitete nach dem “Prinzip Erfahrung”, das sich in Lebensprüfung, Lebensentschluss und Lebensverwirklichung abgespielt hat. Daran prallen ideologische und utopische Zielbestimmungen ab. Der Bürgermeister in seiner Abschiedsrede: “Die Persönlichkeit entfaltet sich nicht im Kampf gegeneinander, sondern im Einsatz für ein gemeinsames Ziel.”

Schäfer, von dem der frühere Vizepräsident des Deutschen Bundestages, Dr. Hermann Schmitt-Vockenhausen, gesagt hatte: "Wir sind Freunde, auch wenn er einen anderen Stil schwimmt als ich", machte sich immer wieder Gedanken über die tägliche Verwaltungsarbeit hinaus. Die kommunale Selbstverwaltung lag ihm sehr am Herzen. Sie sah er in immer stärkerem Maße beeinträchtigt. “Die Planungshoheit der Gemeinden wird durch die finanzielle Abhängigkeit von anderen Gebietskörperschaften beeinträchtigt.” Wer sollte zu solchen Wertungen mehr in der Lage gewesen sein als Schäfer, der 30 Jahre lang zu verantworten hatte, was - zuletzt - 31 Stadtverordnete beschlossen.

Was der praktizierende Katholik Georg Schäfer nach 30-jähriger Amtszeit hinterließ, war sein Städtchen Gernsheim, in dem man sich wohlfühlen konnte. Ruhigen Gewissens konnte er 1981 das Stadthaus verlassen. “Er hat 30 Jahre fleissig gearbeitet und ein gutes Erbe hinterlassen”, kommentierte das Darmstädter Echo. Und: “Gernsheim wird nicht trauern. Aber es wird den ‚Schorsch‘ nicht vergessen.” Die Gernsheimer bedankten sich 1985 mit der Ehrenbürgerwürde. Schon zuvor war er mit dem Ehrenbrief des Landes Hessen, dem Bundesverdienstkreuz, der Freiherr-vom-Stein-Plakette und der Ehrenplakette der Stadt Bar-sur-Aube in Silber ausgezeichnet worden. Georg Schäfer, dessen Leben die Sorge um die Menschen seiner Heimatstadt war und der Jahrzehnte ihrer Geschichte geschrieben hat, starb am 30. August 1986. Der Platz an der Stadthalle, im Herzen der Stadt, trägt seinen Namen.

Rolf Schulten

Exzellenter Prediger:

Portraitaufnahme von Rolf Schulten
Rolf Schulten

„So wisse nu/das dis Buch ein Gesetzbuch ist/das da leeret/was man thun vnd lassen sol...Gleich wie das newe Testament/ein Euangelium oder Gnadenbuch ist...“ Wer Rolf Schulten aus der Distanz dessen, der nicht zu „seiner“ Kirche gehört, beobachtet, gewinnt den Eindruck: Der Mann lebt genau das, was Martin Luther in seiner Vorrede auf das Alte Testament ausgeführt hat. „Die gantze Heilige Schrifft“ des D. Martin Luther, „Deudsch auffs new zugericht“ ist das, was der Theologe verinnerlicht hat - und was aus ihm strömte. Genau so kannten die Gernsheimer den excellenten Prediger, der am 22. September 1929 in Wermelskirchen (Bergisches Land) das Licht der Welt erblickte.

Dem Abitur 1951 folgte die Lehre zum Seidenbreitweber mit dem Ziel, Textil-Diplomingenieur zu werden. Dass die Entscheidung schließlich für die Theologie gefallen ist, bedauert sicher niemand von jenen, die mit ihm zu tun hatten. Wuppertal, Heidelberg, Marburg und Bonn waren Studienorte, bevor die Examina und Verwendungen in Oberrosbach, Herborn und Reichelsheim sich anschlossen.

Am 1. Februar 1965 kam der Jubilar zunächst mit Widerwillen als Pfarrverwalter in die Stadt am Rhein. Dort gehalten haben den Nachfolger von Pfarrer Gerhard Leinwand die Mitglieder des Kirchenvorstandes: „Das waren mündige Leute, keine Ja-Sager und Nicker, sondern Mitdenkende, Planende, Ausführende.“ Die erlebte Aufgeschlossenheit und Freundlichkeit der Gemeinde gab er zurück: Kontakte wollte er haben, in die Familien gehen, Jubilaren gratulieren und Trauernde trösten. Offenbar war Schulten im Ried bald zu Hause: 1971 wurde er Dekan des Dekanates Goddelau - bis 1989 nahm er diese Aufgabe wahr.

„Komm, bau ein Haus“, sangen die kleinen Besucher des Martin-Luther-Kindergartens bei der Verabschiedung des Pfarrers aus Gernsheim am 26. September 1993. Mehr als einmal hat der Seelsorger in seiner knapp 29-jährigen Amtszeit gebaut: Bestandsaufnahme am Barbarastift und Pläne zum Umbau als Gemeindezentrum 1965, Gemeindehaus 1973, Renovierung der Gotteshäuser in Gernsheim 1983/85 und Allmendfeld 1987, Erweiterung Martin-Luther-Kindergarten 1989.

Die Kinder der Dietrich-Bonhoeffer-Kindertagesstätte intonierten 1993 „Ich schenk dir ein Lied von mir“. Sein Lied hat der Mann mit dem silbergrauen Haupt nicht so sehr als Vorsänger geträllert, aber wirksam in die Gemeinde gesungen: Jugend-, Frauen-, Seniorenarbeit, Bibelkreis, Religionsunterricht.  „Ich wollte die Menschen für Christus gewinnen.“ Höhen und Tiefen ist er in der Schöfferstadt durchwandert. Seine Theologie, sein „roter Faden“ dabei: „Der Pfarrer muss seinen Dienst von der Mitte des Evangeliums her bestimmen.“

Mit der Stadt Gernsheim bestand wohl zumeist Übereinstimmung. Die zeichnete den nach Weinheim verzogenen Seelsorger wegen seiner „hervorragenden Verdienste um das Gemeinwohl“ als Ehrenbürger aus. Ob der Ehrenbürger den 1993 überreichten Heimtrainer benutzt, ist nicht bekannt. Damals verwies er auf andere Hobbies: Hundezucht (Boxer aus dem „Haus von St. Barbara“ gingen in alle Welt), Aquaristik, Hühnerzucht. Auch darauf mag zutreffen, was Rolf Schulten zu seinem 25. Ordinationsjubiläum bereits für sich reklamierte: „Durch Gottes Gnade bin ich das, was ich bin.“

Peter Joseph von Rüding

Ein adliger Verwalter:

Alte Aufnahme zeigt Portrait von Peter Joseph von Rüding
Peter Joseph von Rüding

Wenig ist über einen Mann bekannt, der in den Annalen der Stadt als Ehrenbürger geführt wird: Peter Joseph von Rüding. Der Vater des am 16. November 1782 in Mainz Geborenen war der am 18. Januar 1809 während seines Dienstes als Großherzoglich Hessischer Regierungsrat und Amtmann zu Gernsheim verstorbene Georg Ignaz Mansunt Rüding. Die Mutter, Theresia Freundschick, 1742 geboren, lebte noch bis zu ihrem Tode am 16. Januar 1810 in Gernsheim.

1807 wird Peter Joseph Rüding als Justiz- und Rentamtsverwalter in Gernsheim genannt. Fürstprimas Karl Theodor von Dalberg stellt ihm am 31. Januar 1810 in Paris ein Adelsdiplom aus. Es wird erst zum 1. Februar 1837 für das Großherzogtum Hessen anerkannt. In Wetzlar heiratet Rüding am 6. November 1812 die Witwe Maria Theresia Rosina Johanna Heckel, geborene von Gülich. Am 3. August 1813 wird Tochter Christina Mathilde Josepha Theresia geboren. Der gemeinsame Sohn Egidius Joseph Carl von Rüding wird am 23. Juli 1814 in Gernsheim geboren. Zum Doktor der Rechte promoviert, wird er Kreissekretär und Kreisrat in Büdingen, Dieburg, Heppenheim, Vilbel und zuletzt - ab 10. März 1863 - in Bensheim. Dort stirbt er - mit der Tochter Elisabeth des preußischen Majors Friedrich von Tiedemann verheiratet - am 7. August 1867. Das dritte Kind, Anselm Emil Georg August Julius wird am 18. November 1818 geboren.

Peter Joseph von Rüding wird am 1. Oktober 1821 Landrat für den Bezirk Bensheim. Dem vorausgegangen war ein Edikt vom 1. Dezember 1817 über die Trennung von Verwaltung und Justiz, wonach den Landräten die Leitung von Verwaltung und Polizei, den Landrichtern die zivile und die Strafgerichtsbarkeit übertragen wurden. Der Landratsbezirk Bensheim wurde - neben den Bezirken Heppenheim, Hirschhorn, Lindenfels und Wimpfen - am 14. Juli 1821 gebildet. Am 29. April 1830 gründet der Landrat die "Ersparungskasse in dem Landratsbezirk Bensheim mit Sitz in Zwingenberg."

Am 30. August 1832 wird Rüding Kreisrat des Kreises Bensheim. Die Umbenennung ist Folge einer Verwaltungsreform, bei der die Regierung für Starkenburg als Mittelinstanz beseitigt und zu Kreisen umgebildet worden war. Deren Leiter trugen die Bezeichnung Kreisräte. Auf eigenen Antrag wird der Kreisrat am 1. August 1848 pensioniert. Dieser Wunsch ist womöglich Folge einer weiteren Verwaltungsreform: Mit Edikt vom 31. Juli 1848 wurden Regierungskommissionen gebildet. Damit wurde aus den Kreisen Bensheim und Heppenheim der Regierungsbezirk Heppenheim. Hirschhorn und Wimpfen kamen zum Regierungsbezirk Erbach.

Weshalb Rüding am 21. März 1850 als Regierungsrat benannt wird, ist selbst vor dem Hintergrund, dass zum 12. Mai 1852 wieder die vormaligen Kreise eingeführt wurden, nicht erkennbar. Anlässlich seines 50-jährigen Dienstjubiläums wird Peter Joseph von Rüding am 1. Juni 1857 die Ehrenbürgerwürde der Stadt verliehen. In welcher Weise sich der Ausgezeichnete um Gernsheim verdient gemacht hat, ist bisher unerfindlich.

Philipp Wunderle

Aus Liebe zur Vaterstadt:

Alte Aufnahme zeigt Philipp Wunderle sitzend im Kreise seiner Frau,  Kinder und Enkelkinder um 1915
Philipp Wunderle im Kreise seiner Kinder und Enkelkinder um 1915

Was sich fast wie ein kitschiger Auswanderer-Roman liest, ist die wahre Geschichte des Lebens eines Mannes, an dessen Werk noch heute die Theresenstraße erinnert: Philipp Wunderle, Ehrenbürger der Stadt Gernsheim, verstorben am 17. Juni 1929 im amerikanischen Edge HilI. Begonnen hatte das Leben dieses zweiten Knaben des Bürgers und Seifensieders Valentin Wunderle und seiner Frau Theresa, geborene Bonn, am 3. Dezember 1845. Das Patenamt hatte Philipp Bonn, Bürger und Gastwirt im Haus "Zum weißen Roß", Bruder der jungen Mutter, übernommen, wie aus dem von Pfarrer Engelbert Kaiser unterzeichneten Taufprotokoll hervorgeht.

Offenbar unruhig, abenteuerlustig und voller Lebensmut zieht es den jungen Mann im 20. Lebensjahr in die Vereinigten Staaten von Amerika. Dort findet er Arbeit in einer Hutfabrik in New York, wird vom Zahlmeister um seinen Lohn betrogen, wechselt in eine Süßwarenfabrik nach Philadelphia. In dieser Arbeit scheint der Gernsheimer aufgegangen zu sein, denn sie führt zu dem Entschluss, sein Glück im Zuckerwarenhandel zu versuchen. Er setzt so viel Energie ein, dass er 1871 bereits Oberdirektor der Empire Chocolate Company in New York wird.

Der große Durchbruch aber kommt mit der Produktion von Gumdrops, die er in Eigeninitiative aufnimmt. 1873, inzwischen selbständig, richtete Wunderle in Philadelphia den ersten eigenen Laden ein. Neue Konfektarten erweitern die Produktpalette. Als 1888 die Produktion von Buttercreme beginnt, hat sich die Firma bereits um fünf weitere Gebäude vergrößert. Aus dem Sohn des Gernsheimer Seifensieders ist ein vermögender Mann geworden.

Dieser berufliche Aufstieg in der Neuen Welt hätte zur Verleihung der Ehrenbürgerschaft sicherlich nicht ausgereicht. Weshalb Wunderle dennoch diese Wertschätzung der Bevölkerung erfuhr, ist dem "Rheinischen Boten" vom 23. Juni 1929 zu entnehmen: "Große Geldspenden fanden den Weg zu uns herüber in der Zeit der größten Not... Für viele ist er der rettende Engel geworden, namentlich für solche, die, an Wohlhabenheit gewöhnt, sich des BetteIns geschämt hätten." Die Rede ist von der Notzeit nach dem Ersten Weltkrieg, in der sich nicht wenige Bürger der Rheinstadt nur durch die Dollarhilfe Wunderles über Wasser halten konnten.

Zu Beginn des Geldtransfers aus den USA stand ein Brief WunderIes an Bürgermeister Franz Josef Hoffmann vom 26. Februar 1920. Gernsheim nahm das Angebot des ehemaligen Bürgers an: Der Theresenfonds entstand. Er wurde nach der Mutter des Wohltäters bezeichnet. Verwaltet wurde das Vermögen von einem Ausschuss, dem Glasermeister Wilhelm Lang, Justizassessor Friedrich Geier, Brückenwärter Matthias Kissel und Bernhard Spiess angehörten. Bereits in der ersten Sitzung wurden 257 Bittgesuche mit der Gesamtsumme von 17.550 Mark genehmigt. Daneben verteilte der Fonds Kohlen und Milch aus eigener Tierhaltung und schickte Kinder zur Erholung. Philipp Wunderle gab auch Geld zur Ausschmückung der katholischen Kirche: "Die Ausmalung der Pfarrkirche in den Inflationsjahren 1920/21 war nur durch die Dollarhilfe von Philipp Wunderle möglich", bestätigte Pfarrer Andreas Malsy in seinem Beitrag zum Heimatbuch 1956. Der "Rheinische Bote" vom 22. Dezember 1922 weiß von einer Schiffsladung voller Kohle für die Stadt. Spenden flossen auch zur Errichtung eines KriegerdenkmaIs auf dem Friedhof.

Als die Schöfferstadt vom Tod des Wohltäters hörte, wurde vor dem Stadthaus halbmast geflaggt. Bürgermeister Hoffmann sagte in seinem Nachruf: "Der Verewigte, der mit Leib und Seele an Gernsheim, seiner Vaterstadt, hing, hat sich durch mehrfache große Spenden zur Förderung der Allgemeininteressen in besonderem Maße verdient gemacht." Der "Rheinische Bote" vermerkte: "So wenig wir unsere gefangenen Helden vergessen dürfen, so wenig dürfen wir des edlen Mannes vergessen, der so treu an seiner Vaterstadt gehängt und diese Liebe auf großzügige Weise durch Werke der Barmherzigkeit bekundete, eingedenk der Worte: ,Selig sind die Barmherzigen, denn sie werden Barmherzigkeit erlangen!'.

Nach dem Tode des Seniors gründeten die Kinder Philipp, Fred, Horace und Blanche im Dezember 1930 eine Aktiengesellschaft, die allerdings im Juni 1944 liquidiert wurde.


Die Veröffentlichung der Texte erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Autors Hans-Josef Becker.

Bilder: Heimat am Strom, Lesebuch Gernsheim.